Unser Forschungsprofil
Verhältnisse zwischen Behinderung und Geschlecht werden seit Ende der 1970er Jahre kritisch wissenschaftlich untersucht. Seit Mitte der 1990er Jahre werden die Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte in dem spezifischen Lehrgebiet der „Frauenforschung in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung“ gebündelt und seit Beginn der 2000er Jahre zusätzlich aus der Perspektive der „Disability Studies“, auch unter dem Begriff „Gendering Disability“, zusammengefasst.
Inter- und transdisziplinäre Forschung
In den letzten 20 Jahren ist eine Zunahme geschlechterkritischer empirischer Forschung generell und im Kontext von Behinderung festzustellen. In die Hochschullehre werden alle wesentlichen Inhalte der Rehabilitationswissenschaften, der Behinderten- und Integrationspädagogik, der interdisziplinären Teilhabe- und Inklusionsforschung sowie der Disability Studies einbezogen und gezielt auf ihre Geschlechterdimensionen hin analysiert. Dabei spielen theoretische Bezüge wie auch Erkenntnisse aus der empirischen Forschung eine Rolle.
Im Mittelpunkt stehen die gesellschaftlich-strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen ungleicher und hierarchisierender Geschlechterverhältnisse sowie Geschlechterbeziehungen und die (strukturelle) Gewalt in Bezug auf Menschen mit und ohne Behinderungen. Wie können Erziehung, Rehabilitation und politisch-strukturelle Rahmenbedingungen im Sinne von Inklusion, selbstbestimmtem Leben und Chancengleichheit positiv beeinflusst und von hierarchischen bzw. Ungleichheitsverhältnissen befreit werden? Wie ist eine geschlechterbewusste und machtkritische Pädagogik und Inklusion zu gestalten?
Das Fach richtet seine Analysen sowohl auf die traditionellen Formen der Heil-, Sonder- und Rehabilitationspädagogik, als auch auf die inklusive Pädagogik und damit auf die gemeinsame Erziehung und Förderung von Menschen mit und ohne Behinderung. Darüber hinaus werden soziologische und sozialwissenschaftliche Perspektiven integriert sowie inter-und transdisziplinäre Bezüge hergestellt. Dabei wird das Verhältnis zwischen Menschen ohne und mit Behinderungen, also auch das Verhältnis zwischen vermeintlicher Normalität und Abweichung, fokussiert und auf seine geschlechterspezifischen Zusammenhänge hin untersucht. Die Ansätze der interdisziplinären und inklusiven Teilhabe- und Inklusionsforschung sowie der Disability Studies mit ihren geschlechter- und machtkritischen Impulsen bilden eine wichtige wissenschaftliche Basis des Lehrgebietes.
Intersektionale Analyse sozialer Ungleichheiten
Menschen mit Behinderungen sollen nicht mehr überwiegend Objekte des Forschungsprozesses sein, sondern als Subjekte, Expert_innen und selbstbewusst Forschende in der Lehre und Wissensproduktion mitwirken. Im Lehrgebiet werden die Geschlechterverhältnisse von einer Position aus analysiert, die sich der Überwindung hierarchischer sozialer Verhältnisse hin zu sozialer Gerechtigkeit und Gleichstellung verpflichtet, was auf vielen Feldern gleichbedeutend ist mit der Aufhebung der Diskriminierung behinderter Frauen und Mädchen in allen gesellschaftlichen Teilsystemen. Auch soziale Strukturen etwa in Erziehung, Bildung und Arbeitswelt, durch die Menschen auf einseitige binäre Geschlechterkonzepte festgelegt werden oder soziale Benachteiligung erfahren, werden kritisch hinterfragt.
Erweiterung findet die Betrachtung von Geschlecht und Behinderung im Kontext der Migrationsgesellschaft Deutschlands, in der pädagogische Professionalität als wichtige Querschnittsaufgabe für das Gelingen von Inklusion begriffen wird. Dabei werden das Bildungssystem, Arbeitsmarktkonzepte sowie auch Fürsorgesysteme auf deren Schwächen im Umgang mit migrationsbedingter Vielfalt und auf die Reproduktion sozialer und geschlechtlicher Ungleichheiten hin analysiert. Zu fragen ist, wie Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderung, sowie deren Angehörigen gelingen kann, während Othering-Prozesse und Kulturdefizitverständnisse im Rahmen von Kulturalismusdiskursen, auch in den Hilfesystemen, wirksam sind.
Globalisierung und Transnationalität von Arbeit sind mit zunehmenden globalen Ungleichheiten im Kontext von Gender und ethnischem Hintergrund verbunden. Insbesondere die Arbeitsmigration im Care-Bereich hat ein weibliches Gesicht. Die ihr inhärenten Leitbilder von gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen, Arbeitsorganisation und Wohlfahrtstaatlichkeit werden aufgedeckt und auf ihre Wirkungsweise auf Integration und Inklusion, aber auch Geschlechtergleichstellung und –partizipation hinterfragt.